F. Ledermann: Es ist die Martha-Seele, die meiner Seele vermählt ist

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Titel
Es ist die Martha-Seele, die meiner Seele vermählt ist. Die Briefe von Alexander Tschirch an Martha Bernoulli 1896 – 1939


Autor(en)
Ledermann, François
Reihe
Veröffentlichungen zur Pharmaziegeschichte
Erschienen
Stuttgart 2015: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Anzahl Seiten
174 S.
von
Birgit Stalder

Der Pharmazieprofessor Alexander Tschirch (1856 – 1939) stand über 40 Jahre lang in Briefkontakt mit Martha Bernoulli-Goebel. 49 Schreiben Tschirchs an seine Brieffreundin hat François Ledermann nun in einer Sammlung vereint.

Tschirch wurde als Pfarrerssohn in der Lausitz geboren und kam nach seinem Studium in Berlin und einer langen «Indienreise» 1890 nach Bern, wo er die Leitung des damals neu geschaffenen Pharmazeutischen Instituts übernahm. Er war ein engagierter Hochschullehrer und Wissenschaftler, insbesondere auf dem Gebiet der Pharmakognosie, der Lehre über Arzneimittel. Unter seiner Direktion entwickelte sich das Berner Institut zu einem Anziehungspunkt der europäischen Pharmazie. Diese Erfolge führten Tschirch bis ins Amt des Rektors der Universität Bern, das er von 1908 bis 1909 ausübte. Er hielt zahlreiche Referate, publizierte wissenschaftliche Schriften und Lehrbücher, reiste viel umher und unterhielt zusammen mit seiner Frau Elisa und seinen Töchtern, Margarete und Anna, ein reges Gesellschaftsleben. Nach seiner Emeritierung lebte Tschirch mit seiner Familie weiter in Bern. Seine Frau verstarb 1935. Vier Jahre später erkrankte Alexander Tschirch an einer Lungenentzündung, die er nicht überlebte. In seinen letzten Lebensjahren hatte er sich immer intensiver der Ölmalerei gewidmet. Er fand bei den Blumen, die er abmalte, und den Pinseln ein Refugium und kümmerte sich weniger um die weltpolitischen Vorgänge als früher.

Über die Adressatin von Tschirchs Briefen ist wenig bekannt. Martha Bernoulli-Goebel wurde 1863 in Preussen geboren. Sie machte eine Ausbildung zur Grundschullehrerin und arbeitete eine gewisse Zeit als Hauslehrerin in Mähren. Später heiratete «Marthal» in Zürich einen Studenten der ETH. Nach der Hochzeit liess sich das Paar in Triest nieder, wo Marthas Ehemann, Oscar Bernoulli, ursprünglich herkam. 1898 kam der einzige Sohn, Walter Niklaus, zur Welt. Ledermann vermutet, dass sich Martha Bernoulli und Alexander Tschirch zum ersten Mal 1892 in Zürich begegnet sind. Genaueres über die Umstände, die ersten Begegnungen oder die Entstehung der Freundschaft bleiben im Dunkeln.

Die Briefsammlung ist ein intimer Quellenkorpus, ein ausgeprägtes Ego-Dokument. Auch wenn Alexander Tschirch von seiner Frau und den heranwachsenden Töchtern berichtet, werden in allen Briefen seine zärtlichen Regungen für Martha deutlich. In den letzten Briefen, die Tschirch nach dem Tod seiner Ehefrau verfasste, wird der verliebte Tschirch immer vernehmbarer, auch durch seine expliziten Grussworte am Ende der Briefe. Eine «platonische Liebe» sei es, schreibt er einmal.

Das Buch kann also als 40-jährige Liebesgeschichte gelesen werden. Dass sich das Korrespondenzpaar 1937 und 1939 im hohen Alter noch zweimal in Bern trifft, ist für Tschirch ein grosses Geschenk. Er erwähnt seine Dankbarkeit darüber in den letzten Briefen immer wieder. Diese Schreiben über Lieben und Altern sind in ihrer grossen Ehrlichkeit berührend. Gleichzeitig bleibt die Liebesgeschichte unvollständig. Marthas Antwortbriefe sind verschollen. Alle Fragen, Ermunterungen und Liebesbezeugungen von Tschirch bleiben unbeantwortet.

Eine weitere unfassbare Person ist Tschirchs Gattin Elisa. Wie viel hat sie von seiner Liebe zu Martha gewusst und wie hat sie diese Situation ertragen? Diese weiteren Stränge der Liebesgeschichte können mangels Quellen – Frauen hinterliessen zu jener Zeit wenige Spuren – nicht erzählt werden.

Mit seiner Edition steht Ledermann in einer langen Tradition. Die Korrespondenz einflussreicher Persönlichkeiten gilt in Historikerkreisen als reiche Quelle. So ist auch diese Briefsammlung nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern enthält explizit politische Überlegungen. Tschirch ist ein Beobachter seiner Zeit. Er reflektiert die Ereignisse in Europa, insbesondere in seiner Heimat Deutschland, wobei er sich zur Niederlage 1918 und deutlich gegen den Aufstieg des Nationalsozialismus äussert. Dieser sei «infektiös» und ähnle der «Cholera». Tschirch zeigt sich als Mensch mit patriotischen Gefühlen verärgert und besorgt über die fortschreitende Schwächung der Demokratie und den mentalen Wandel in der deutschen Gesellschaft.

Die Briefe lassen sich schliesslich auch als Dokumente der Alltagsgeschichte lesen. Sie geben wörtlich, aber auch implizit Einblick in das Familienleben und die Wertvorstellungen des Bildungsbürgertums, in psychische Krankheitsbilder und deren Behandlung, in das Verhältnis von Professoren und Studenten sowie in die Pharmaziegeschichte. In der 23-seitigen Einleitung stellt Ledermann Alexander Tschirch, der den Lesern – auch mit seinem teils etwas selbstverliebten Charakter – im Laufe der Lektüre ans Herz wächst, ausführlich vor. Zudem analysiert er Tschirchs Reaktionen auf den politischen und gesellschaftlichen Wandel, der ihn umgab. Dabei stützt sich Ledermann weitgehend auf die Inhalte von Tschirchs Briefen, ohne weitere Quellen oder kontextualisierende Literatur beizuziehen.

Schade, dass diese Einleitung keine Überlegungen zum Quellenwert der Briefe enthält. Es hätte sich angeboten, über den Kontext, in dem sie entstanden sind, mehr zu reflektieren und über die Fragen nachzudenken, die sich stellen, wenn wir sie aus historisch-wissenschaftlicher Perspektive lesen. Auch die Fussnoten und die oft sehr kleinen Bilder wirken etwas willkürlich gesetzt und schmälern die Wissenschaftlichkeit der Publikation.

Trotz wissenschaftlicher Defizite legt François Ledermann mit seiner Edition der Briefe einen Quellenkorpus vor, der berührt und eine reiche Grundlage für weitere Forschungsarbeiten bietet.

Zitierweise:
Birgit Stalder: Rezension zu: Ledermann, François: «Es ist die Martha-Seele, die meiner Seele vermählt ist.» Die Briefe von Alexander Tschirch an Martha Bernoulli 1896 – 1939. (Veröffentlichungen zur Pharmaziegeschichte, Bd. 13). Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2015. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2018, S. 140-142.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2018, S. 140-142.

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